Vorarlberg, Tirol, Salzburg
01.09. Gaschurn nach Landeck
Meine Parallele zwischen dem Radfahren und Aktivismus ist wohl, dass ich in steilen Hängen einfach nur stur direkt vor mich starre, ohne den Blick zu heben, weil ich weiß, dass mich die Aussicht auf weitere Steigung demotivieren würde. Zumindest würde ich ständig darüber nachdenken, ob es nicht doch flacher wird hinter der nächsten Kurve. Wenn es dann doch nicht flacher wird (welch Überraschung am Berg), werden die Beine direkt schwer. Ich glaube manchmal überfordert uns der Blick auf das große Ganze. Auf den riesigen Berg an Problemen, die es scheinbar zu bewältigen gibt und dann erstarren wir (oder steigen ab vom Rad). Aber es ist unglaublich, was man schafft, wenn man einfach weiterfährt – den Blick gesenkt und sich immer nur auf den nächsten Meter vor einem konzentriert. Natürlich sollte man trotzdem manchmal eine Pause einlegen, sehen wo man steht und sich gegebenenfalls neu orientieren.
Immer noch etwas erschöpft vom krank sein konzentriere ich mich auf jeden Fall nur auf vorwärts und fahre mit Pascal die Silvrettagruppe hoch. Erst als wir oben ankommen und uns im Gasthof bei dem Zeinissee eine Suppe gönnen merke ich wie kalt und nass es eigentlich war. Ich bin so dankbar drinnen im Warmen zu sein, weil Pausen im Kalten einfach nicht erholsam sind. Trotz Erschöpfung wird man weitergetrieben, weil frieren auch keine angenehme Regeneration ist. Als wir vom See losfahren ist eine fantastische Stimmung vom Licht und ich fühle mich ein bisschen wie in einer wilden Filmlandschaft.
02.09. Landeck nach Innsbruck
Am Morgen in einen wild fließenden Bach zu springen an einem wunderschönen Ort, der so unberührt scheint und wo die Natur prächtig ist – das ist wahrlich belebend. Wobei es mit der Belebung dann zurück auf dem Rad auch schnell wieder vorbei ist. Die Oberschenkel sind müde und der Geist auch. Ich kriege wenig mit im Moment von der Welt und ich sehne mich ein bisschen danach etwas geordneter Sachen am Laptop recherchieren zu können. Auf den Stop in Innsbruck habe ich allerdings schon wieder so viele Aufgaben geschoben, dass sich das niemals ausgeht.
03.09. Innsbruck nach Ellmau
Verzweifelt suche ich den ganzen Vormittag meinen Schlüssel und verfluche, dass ich so ein Chaot bin, wenn viel in meinem Kopf herumwirbelt (3 Tage später soll sich herausstellen, der Schlüssel ist in einer Waschmaschine in Vorarlberg aufgetaucht, weil ich mir eine Jacke geliehen hatte). Ich suche zu dem Zeitpunkt aber total entnervt und gestresst, weil ich eigentlich wirklich andere Sachen erledigen wollte und schon längst losfahren hätte wollen. Letztlich fahre ich dann los ohne zu wissen wo der Schlüssel steckt und leicht hoffnungslos, weil ich wirklich alles durchsucht habe. Während ich wieder auf dem Rad sitze stelle ich mir wie so oft die Frage, was ich hier eigentlich mache und ob das irgendetwas bringt. Zweifel an der Wirksamkeit treiben mich zusammen mit der Notwendigkeit einer Veränderung immer wieder in einen innerlichen Zwiespalt. Aber jedes Mal, wenn ich Nachrichten über die diesjährigen Brände (auch wenn es sich bei uns diesen verregneten Sommer leicht wegschieben lässt), die unumkehrbare Eisschmelze in der Arktis und anderen Ereignissen wie Hurrikans, Überschwemmungen oder ökologischen Gefährdungen wie Bränden auf Öltankern erfahre, dann weiß ich, dass ich es weiter versuchen muss.
Außerdem bin ich froh, dass ich immer noch in Begleitung bin, weil wenn ich teilweise in Gedankenstrudel abdrifte mir mein Mitfahrer eine unglaublich angenehme und unterhaltsame Konstante bietet.
04.09. Ellmau nach Salzburg
Der wunderschöne Tauernradweg macht die nächste Etappe zu einem wahren Highlight. Hätte ich doch bloß ein bisschen mehr Zeit um die Landschaft besser zu erkunden…ehrlich gesagt habe ich mir das mittlerweile schon an so vielen Orten in Österreich gedacht, dass ich das Gefühl habe, wenn ich überall dorthin zurückfahre, wo ich es mir vorgenommen habe, bin ich tatsächlich die nächsten Jahre Urlaub beschäftigt. Wir fahren über Bad Reichenhall und nach der Nacht im Zelt und dem ganzen Radfahren bin ich so müde, dass ich im Restaurant die ganze Zeit wegdöse. Die Salzburger haben den Rebel Ride schob auf Freitag Abend vorverlegt und so fahren wir nur zu siebt auf der Straße – aber mit Wirkung. Sehr beeindruckt bin ich von den wenigen Menschen die hier mitfahren. Weil ihr Mut und ihre Gelassenheit trotz der ganzen Autos hinter uns mich mal wieder daran erinnert, wieso ich bei der Blockade in Berlin so viel Respekt vor dem Mut der wenigen Menschen hatte. Manchmal denke ich, dass ich an meinem Rebellen-Dasein noch arbeiten müsste, weil ich mich immer direkt bei allen entschuldigen möchte und am liebsten selbst auf die Seite fahren will. Genauso wie der Polizist mit dem ich bei einer Blockade in Innsbruck gesprochen habe, vermutlich wirklich gemerkt hat, dass es kein Vorgeheuchle war, wie unangenehm mir das gerade selbst ist und dass es trotzdem notwendig ist.
Obwohl wir also nicht viele sind, nehme ich an diesem Abend sehr viel wieder für mich mit und die Menschen, die da waren, haben mich allesamt sehr bewegt.
05.09. Salzburg
Das Picknick wird wieder ein kleines, aber feines Treffen, bei dem ich erstmal viel von meiner Tour erzähle. An der Stelle merke ich selbst wie wahnsinnig viel ich jetzt schon erlebt habe und wie geballt das ist, wenn man versucht so viele Eindrücke und Perspektiven in kurzer Zeit zu erzählen. Außerdem sprechen wir darüber, was für die Leute die Wendepunkte waren, an denen sie aktiv geworden sind. Bei einer Studentin zum Beispiel war es das Erlebnis vor Ort in Südafrika wie die armen Menschen an Wasser sparen mussten, während die Reichen daneben ihre großen Pools hatten… Solche Geschichten sind immer wieder bewegend und ich finde es ist so wichtig sich Zeit dafür zu nehmen zu hören wieso die Personen jetzt überhaupt da sind.
Ansonsten geht es mir in Salzburg richtig gut ich übernachte mit Lena, die mich auf meinem weiteren Weg begleiten wird bei Moritz und wir haben spannende Diskussionen am Abend. Einig sind wir uns auf jeden Fall, dass es absurd ist das so viel auf die individuelle Last geschoben wird und dass es so enorm wichtig wäre, dass nicht immer nur Veränderungen auf der individuellen Konsumebene angeregt werden sollen, sondern dass viel mehr Individuen auf die Straße gehen müssten (unabhängig davon wie ökologisch perfekt sie selbst sind) und so genügend Druck erzeugt wird, um umweltfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen.
Danke für die schöne Zeit in Salzburg!
Love & Rage
Aliena