Oberösterreich – Niederösterreich
14.9. Linz – Amstetten
Morgens bin ich beim Frühstück bei der Leisenhof Gärtnerei (https://www.ichbinsoplastikfrei.at/leisenhof/ ). Sarah, die dort aushilft, hat mich eingeladen. Ihre aufrichtige Wertschätzung und Verbindung zu dem Boden, den sie bearbeitet (oder wie sie sagt unserer Mutter Erde) sowie ihre Einstellungen zu Liebe und Geborgenheit inspirieren mich. Immer wieder kehren meine Gedanken bei der anschließenden Fahrt (wo ich von Erwin begleitet werde, der mit seinem Rennrad und seinen durchtrainierten Waden vermutlich 10 Mal so schnell wäre) zu unserem Nahrungsmittelkonsum und im Gegenzug zu den vielen Orten auf der Welt an denen Nahrungsmittelknappheit herrscht.
Am Anfang meiner Reise im Südburgenland als mir das Essen ausgegangen ist, habe ich selbst wieder gemerkt wie verwöhnt ich bin und wie privilegiert wir hier leben. Aber wo ist unser Maß? Brauchen wir solche Mengen und einen Supermarkt der ganzjährig eine riesen Auswahl hat? Wenn 1/3 der Lebensmittel entlang der Wertschöpfungskette auf dem Müll landet ( https://www.global2000.at/lebensmittelverschwendung ), dann sollte das angesichts des wiederansteigenden Welthungers (https://de.wfp.org/pressemitteilungen/un-bericht-die-zahl-der-hungernden-weltweit-steigt-zum-dritten-jahr-folge ) doch für einen Aufschrei der Gesellschaft sorgen. Aber das ist alles so weit weg von uns. Hier scheint das Leben seinen normalen Lauf nachzugehen. Was für Missstände mit dem Überkonsum verknüpft sind, ist schnell vergessen, denn man sieht nicht viel davon. Aber wo sind die, die Zeit und Möglichkeiten haben über diesen Horizont hinauszuschauen. Wo ist der Protest von uns als Student*innen, die sich intensiv mit Themen auseinandersetzen können? Manchmal habe ich das Gefühl, dass es uns so gut geht, dass wir vergessen haben politisch zu sein, uns zu informieren und Entwicklungen zu hinterfragen. Natürlich ist die Ernährung nur ein kleiner Teil des komplexen Problems und mit zahlreichen anderen Teilfeldern ausgespickt wie dem Fleischkonsum, der enormen Sojaproduktion für Viehfutter und damit verbundene Brandrodungen in Regenwäldern, etc. auf die ich gar nicht näher eingehen möchte.
Zu genau solchen Themenbereichen sollten in Bürger*innenräten Beschlüsse gefällt werden. Dieses Konzept bietet so große Chancen, dass Entscheidungen unabhängig von Lobbyismus und Wiederwahl getroffen werden. Ich hoffe, dass viele Menschen das erkennen und mit uns in Wien rebellieren, um das durchzusetzen.
Am Abend lerne ich die Mücken an der Donau kennen und verfluche mich dafür, dass ich das Mückenspray in Innsbruck ausgepackt habe. Bis dahin habe ich es unbenutzt mit mir herumgezerrt.
15.9 Amstetten – Melk
Auf dem Weg von Amstetten nach Melk mache ich eine Pause, bei der ich in der Donau baden gehe. Der Wald rechts und links von der Donau ist so urig und verwachsen, dass ich mich nicht satt sehen kann. Efeu umrankt dicke, hohe Stämme. Umgefallene Bäume liegen natürlich auf dem Boden und werden von samten Moos überzogen. Das liebe ich am Radfahren – es ist eine Reisegeschwindigkeit, bei der ich so viel von meiner Umgebung wahrnehmen und in mich aufsaugen kann.
In Melk werde ich von Alois, seiner Familie und Freunden in allerherzlichster Gastfreundschaft empfangen. Den Senior habe ich eigentlich bereits im Burgenland kennengelernt als Wolfgang Spitzmüller einer Radgruppe, die vor uns unterwegs war zugerufen hat, dass ich eine Radtour für Klima- und Umweltschutz durch ganz Österreich mache. Daraufhin bin ich ins Gespräch mit Alois gekommen, der mich einlädt, dass wenn ich dann in Niederösterreich bin, ich bei ihm vorbeifahren soll. Und jetzt bin ich hier…kaum zu glauben! Wir müssen beide darüber lachen wie absurd das aus einem zwei minütigen Gespräch ich Burgenland entstanden ist. Er hat ein paar Freunde eingeladen und so diskutieren wir (mit Coronaabstand!) den ganzen Abend über die Umwelt, meine Beweggründe und vieles mehr.
Spannend finde ich die altbekannte Spannung den Luxus nicht aufgeben zu wollen und gleichzeitig zu wissen, dass wir so eigentlich nicht leben können. Außerdem führt Alois den berechtigten Einwand ein, dass viele zu bequem sind um etwas zu ändern. Ich weiß so genau, was er meint und gleichzeitig empfinde ich eine Alternativlosigkeit zu den großen Schritten, die benötigt werden. Seit ich die Dramatik der Lage begriffen habe, glaube ich, dass große Schritte potentiell eine Spaltung der Gesellschaft bedeuten können. Aber dass zu kleine Schritte eine Eskalation globaler Konflikte auslösen werden. Letzteres führt dann auch wieder zu gespaltenen Gesellschaften.
Die zwei klassischen Sprüche passen also perfekt auf meine Gedanken und Diskussionen in den letzten zwei Tagen:
Wann, wenn nicht jetzt!
Wer, wenn nicht wir!