Verzweiflung.
Um den ganzen Platz herum stehen Polizist_innen. Die schwarzen, dicht beisammenstehenden Umrisse wirken in der Finsternis wie Mauern. Meine Gedanken rasen. Passiert das hier gerade wirklich? Wo und wer überhaupt ist bitte unser Polizeikontakt? Ich gehe auf den Einsatzleiter zu. Wir müssen Leute kontaktieren, dass sie kommen. Wie sollen wir das hinbekommen. Es ist 5 Uhr. Ich friere. Wir müssen unseren Rechtsanwalt erreichen. Wieso verdammt nochmal sind wir eigentlich so wenige! Ich fühle mich überfordert. Hat die Polizei gerade wirklich eine rechtliche Grundlage, dass der Platz jetzt auf einmal geräumt werden soll oder wollen sie uns nur unter Druck setzen??
Ich spreche trotz meiner innerlichen Aufregung ruhig und bittend mit dem Einsatzleiter, aber es wird schnell klar, dass sie nicht hier sind, um noch mit uns zu verhandeln. Ich fühle mich hilflos. Sie sind so viele und wir so wenige. Wir hätten es wissen müssen, dass sie uns in der schwächsten Phase nach einer durchnässten Nacht, in der viele ihre Zelte abgebaut haben und eine Nacht im Warmen, Trockenen verbringen wollten räumen.
Alles ging und geht so schnell.
Im Gespräch komme ich dahinter, dass der Grund für die Auflösung ist, dass wir keine politische Versammlung mehr seien, sondern nur noch illegal campieren. Dabei waren jede Nacht genau aus diesem Grund, immer mindestens drei Menschen wach geblieben – die Mindestanzahl für eine Versammlung. Ich schöpfe auf einmal die Hoffnung, dass wenn wir uns jetzt politisch äußern, sie die Versammlung eben nicht einfach auflösen dürfen. Ich flehe den Einsatzleiter fast schon an mich eine Rede für seine Kolleg_innen zu halten. Er erklärt es ist zu spät.
Wir diskutieren, aber als ich merke, dass ich so nichts mehr erzielen kann, nehme ich all meinen Mut zusammen und drehe mich von ihm weg zu den Polizist_innenreihen. Ich kann selbst nicht fassen, was ich da gerade tue, aber ich fange einfach an laut und klar über den ganzen Platz zu reden. Entschuldige mich bei Ihnen, dafür dass auch Sie jetzt um diese Uhrzeit hier sein müssen. Erkläre Ihnen warum auch ich nicht hier sein will, und es trotzdem bin. Fange bei der Klimakrise und dem Nichteinhalten des Pariser Klimaabkommens an, gehe über zu dem Biodiversitätsverlust und dem neuesten Bericht des WWF über den Living Planet Index. Und während ich mich abermals entschuldige, dass Sie jetzt hier sein müssen, aber dass es um die Zukunft von uns allen geht, fängt meine Stimme an zu brechen. Ich fühle mich so angreifbar und verletzlich. Habe nur meine lange Unterhose von der Radreise und einen Pulli an. Ich möchte nach Hause.
Was tue ich da nur?
Stehe als 22-jähriges Mädchen vor Dutzenden Polizist_innen, kann nicht mal mehr die paar wenigen anderen Rebell_innen aus unserem Lager sehen, die irgendwo hinter mir bei den Zelten stehen. Mein Blick schweift über die dunklen Gestalten und bleibt bei meinem eigenen Rad hängen, das an einen Laternenpfahl gesperrt ist. Dann versagt mir die Stimme vollständig den Dienst. Ich schluchze. 8 Wochen lang habe ich mich jetzt schon mit dem Rad durchgekämpft, habe mit Menschen in ganz Österreich gesprochen, hatte Schmerzen und habe weitergemacht. Wofür tue ich das alles?
Kurz darauf spreche ich wieder mit dem Einsatzleiter. Nachdem ich meinen Ausweis geholt habe um ihn herzuzeigen, wie sie es mir und dem zweiten Polizeikontakt angeordert haben, ändern sie auf einmal ihren Ton und ihre Aussage, denn wir sollen ihn nun bei Kolleg_innen hinter der Toreinfahrt zeigen. Mir ist klar, was es bedeutet, wenn wir den Platz jetzt verlassen. Mittlerweile stehen mehrere Beamt_innen um mich und ich werde gedrängt zu gehen. Ich kann immer noch nicht glauben, dass das gerade wirklich passiert und weigere mich. Ehe ich mich versehe sagt der Einsatzleiter bringt sie einfach weg jetzt und zwei Polizist_innen fangen an mich zum Tor zu schieben. Bevor ich länger darüber nachdenken kann und weil ich an der Situation scheinbar eh nichts mehr ändern kann, setze ich mich einfach hin. Während ich weggetragen werde breche ich in Tränen aus.
So viel Hilflosigkeit, so viel Einsatz, so viel Verzweiflung.
Nachdem die Beamt_innen bei der Einfahrt meinen Ausweis notiert und wiedergegeben haben sagen sie mir ich soll jetzt gehen. Ich sitze immer noch auf dem Boden. Friere und zittere am ganzen Körper. Schaue sie verständnislos an und frage Sie wohin ich um diese Uhrzeit ohne meine ganzen Sachen ihrer Meinung nach denn jetzt gehen soll. Während sich die anderen BeamtIinnen eher zurückhalten pocht einer besonders unfreundlich darauf, dass ich aufstehen und gehen soll. Fast kommt es mir vor als wollen sie mich einfach nicht die ganze Zeit vor ihren Augen frieren sehen. Ich denke aufeinmal etwas ironisch, dass es passend zum Problem der Klimakrise und dem Artensterben ist, vor denen leider immer noch so viele Menschen die Augen verschließen, obwohl sie direkt vor uns ist. Ganz nach dem Motto Probleme, die wir nicht sehen, sind nicht unsere Probleme.
Aber noch während ich bibbernd aufstehe, weiß ich, dass ich weitermachen werde. Dass wir weitermachen werden. Weil wir wissen ganz genau, wofür wir das alles tun.