Sehr geehrter Bürgermeister Michael Ludwig,
ich schreibe Ihnen, weil ich glaube, dass Ihnen das Wohlbefinden der Wiener:innen wirklich ein Anliegen ist. Ihre Stadtregierung ist gerade dabei, ohne böse Absichten einen fatalen verkehrsplanerischen Fehler zu begehen, der die Lebensqualität der Bevölkerung auf Jahrzehnte verschlechtern wird.
Dieser Fehler besteht im Bau von Stadtstraße, S1 und Lobautunnel. Die Absicht hinter dem Projekt ist klar – der Verkehr soll aus der Stadt ins Umland verlagert werden, damit die Menschen entlastet werden. In der Realität – und das zeigen inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Studien, von denen ich einige im Anhang als Volltext anführe – führt der Bau neuer Straßen aber zu mehr Verkehr, und damit zu mehr Schadstoffen, mehr Lärm und mehr klimaschädlichem CO2.
London ist ein warnendes Beispiel. In den 1980er-Jahren wurde um die Metropole ein Autobahnring vollendet, die M25. Auch hier war das Ziel, den Verkehr aus der Stadt hinaus zu lenken, und die Menschen zu entlasten. Passiert ist das genaue Gegenteil: Die M25 wurde binnen weniger Jahre ein Stau-Magnet, und auf den eigentlich zu entlastenden Straßen in der Stadt waren bald mehr Autos unterwegs als zuvor. Lag es an einer allgemeinen Verkehrs-Zunahme? Nein! Andere Städte, die keinen massiven Straßenausbau betrieben, erlebten keine derartige Verkehrslawine.
Untersuchungen aus den Vereinigten Staaten zeigen, dass 10% mehr Straßen auch zu 10% mehr Verkehr führen. Je „bequemer“ das Autofahren gemacht wird, desto eher steigen Menschen von Öffis, Rad und Fahrgemeinschaft auf das eigene Auto um.
Wollen wir im 21. Jahrhundert, inmitten der Klimakrise, wirklich einen solchen Anreiz schaffen?
Dazu kommt, dass die Trassenführung der Lobau-Autobahn, insbesondere des Lobautunnels, schweren Schaden am Nationalpark Donau-Auen anrichten kann. Es sind in der Vergangenheit bei Tunnel- und Straßenprojekten wiederholt ungeahnte Folgen für Grundwasser und Geologie aufgetreten. Ein Eingriff in die empfindlichen Ökosysteme im Nationalpark könnte fatale Folgen haben.
Und es ist blanker Irrsinn, den Tunnel mitten durch den ölverseuchten Grund unter dem Tanklager Lobau zu treiben – die Altlast konnte erst vor knapp über 10 Jahren mittels Trennwänden gesichert werden. Gelangt dieses Öl ins Wasser, dann erreicht es stromabwärts das Wasserwerk Lobau, eine wichtige Sekundärquelle für das Wiener Leitungswasser in Zeiten von Dürre oder Wartungsarbeiten an der Hochquell-Wasserleitung.
Seit 31. Mai befinde ich mich gegen dieses Wahnsinnsprojekt und anderer Ökozide im unbefristeten Hungerstreik, weil ich mir nicht anders zu helfen weiß – alle bisherigen Versuche, Politiker:innen die wissenschaftlichen Fakten näher zu bringen, sind gescheitert. Ich fordere Sie auf, die Wissenschaft auch in der Verkehrsplanung ernst zu nehmen, und den Menschen in dieser Stadt die Wahrheit zu sagen – S1 und Lobautunnel bringen (siehe TU Wien-Studie) keine dauerhafte Verkehrsentlastung, und werden in der Zukunft nur noch mehr Verkehr in die Stadt holen.
Für eine Stadt der Menschen, nicht der Blechlawinen – und eine intakte Natur darum herum.
Martha Krumpeck
Zu finden bin ich, solange es meine Kräfte erlauben, vom späten Vormittag bis zur Dämmerung am Heldenplatz, in der Wiese gegenüber dem Denkmal der Exekutive vor dem Äußeren Burgtor. Für ein Gespräch über die wissenschaftlichen Fakten stehe ich gerne zur Verfügung, verweise in Detailfragen aber lieber an ausgewiesene Expert:innen.
Die Datenlage ist eindeutig:
https://doi.org/10.1007/BF00166218
https://doi.org/10.1257/aer.101.6.2616
https://doi.org/10.1016/j.jue.2014.02.002
https://doi.org/10.1080/01621459.2014.956871
https://www.eco-logica.co.uk/pdf/wtpp17.3.pdf