Beim unserem zweiten Newsroom zur COP26 berichtete Mira Kapfinger von System Change Not Climate Change direkt aus Glasgow – u.a. zu den Aktionen, die Stay Grounded am 6. November dort und an vielen anderen Flughäfen durchgeführt hat. Sie ging auf den Gegengipfel der Klimagerechtigkeitsbewegung ein und erzählte auch davon, wie sie selbst Glasgow und die Konferenz erlebt.
Aufzeichnung des Newsroom mit Mira Kapfinger
Material: Woche 1 der COP26
Interview mit Kevin Anderson
Kevin Anderson hat sich in einem Interview zur COP26 geäußert. Seine Einschätzung deckt sich mit der von Reinhard Steurer aus dem letzten Newsroom. Kevin Anderson ist einer der renommiertesten Klimawissenschaftler und ein langjähriger Klimaaktivist.
Anderson stellt fest, dass auf der offiziellen Konferenz bei weitem nicht das „level of ambition“ von Paris herrsche. Die Verhandelnden aus der Politik und die Menschen, die die Klimarealität kennen, lebten auf „zwei verschiedenen Planeten“, zwischen denen so gut wie keine Verbindung besteht. Eigentlich sei es die Aufgabe des Journalismus und kompetenter Akademiker:innen, die leader zur Verantwortung zu ziehen. Im Moment aber überbrücke fast niemand diese Kluft. Es gibt zu wenig Stimmen im Journalismus, die die Wahrheit über die Klimarealität aussprechen, und es gibt zu wenig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich nicht den Ansprüchen der offiziellen Politik unterwerfen.
Anderson stellt fest: Die jetzigen Führenden profitieren von dem System, das die Klimakrise und die ökologischen Krisen hervorgebracht hat. Von einer tatsächlichen leadership können man nicht sprechen. (The climate has not spotted this leadership yet.) Die globale Erhitzung sei eine Sache des Konsums, den eine sehr kleine Gruppe der Gesellschaft vorantreibt (issue of consumption, driven by a very small group of society).
Der Beweis ist im Pudding – und die Leute hier haben keinerlei Absicht, nach der COP etwas vom Pudding übrigzulassen.
Kevin Anderson
Über die Klimarealität erfahre man wesentlich mehr durch die side events, in denen sich die Zivilgesellschaft äußert, als durch die offizielle Konferenz. Den messy groups der civil society sei wesentlich deutlicher bewusst als vielen offiziellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, was nötig ist. Die spezielle Gruppe der medial Präsenten in Wissenschaft und Politik verkörpere alles, was in unserer Reaktion auf den Klimawandel falsch ist (encapsulates all that is wron in our reaction to climate change).
Nach Covid sähen wir nur wieder business as usual, umgeben von this shiny green glow. Alles auf der Konferenz gehöre zu einem Narrativ, das sagt, wir sollen nicht die Hoffnung zerstören.
Trotzdem habe sich etwas verändert. Es könne sein, dass die übliche Konferenz- und Klima-PR nicht mehr funktioniert. Die Konzentration des Diskurses auf 1,5° könne auch die Akademikerinnen und Akademiker am Beginn ihrer Karriere dazu bringen, anders zu handeln. Der Wechsel komme von unten und ohne zentrale Organisation (change will be emergent … leadership occurs bottom up). Am Ende stellt Anderson fest, dass die Physik hier die einzige Partei ist, die nicht verhandelt: Physics is the only party here not negotiating.)
Grundinformationen zur offiziellen Konferenz
Die offizielle Website der Konferenz: ist UN Climate Change Conference (COP26) at the SEC – Glasgow 2021. Auf ihr findet sich das offizielle Presidency Programme – UN Climate Change Conference (COP26) at the SEC – Glasgow 2021. Mit fast 40.000 registrierten Delegierten ist die COP26 die größte der bisherigen COPs.
Wichtige offizielle Themen sind der Abschluss des Regelbuchs zum Pariser Abkommen (dabei geht es z.B. um die Formate von nationalen Berichten über Emissionen und Vereinbarungen zum Emissionshandel (die das Kapitel 6 des Pariser Abkommens betreffen). Diese Vereinbarungen sind aus der Sicht der Klimagerechtigkeitsbewegung besonders problematisch. Emissionshandel kann es möglich machen, dass Emissionen in den besonders viel verschmutzenden Ländern durch den Kauf von Emissionsrechten aus wenig emittierenden Staaten ausgeglichen werden. Das verlangsamt den Abbau von Emissionen, macht sie schwerer erkennbar (Netto-Null, weil woanders kompensiert wird) und zwingt den ärmeren Ländern weitere Marktmechanismen auf.
Chronik, 3. November: Klima und Finanzen
Offizielles Thema: Finanzen
Am 3. November fand das Finanzminister-Treffen statt, die offizielle PR-Information: Global Finance Ministers gather to discuss how public and private finance can lead the transition to a net zero, climate resilient world.
In einer Initiative der Finanzwirtschaft verpflichten sich Banken und andere Finanzinstitutionen, insgesamt 130 Billionen Dollar nur noch in Übereinstimmung mit dem Pariser Abkommen anzulegen. Website der Initiative: Glasgow Financial Alliance for Net Zero.
Zitate aus dem taz-Artikel Initiative der Finanzwirtschaft: 130 Billionen Dollar auf Klimakurs – taz.de:
‚130 Billionen US-Dollar sollen in Zukunft nur noch so angelegt werden, dass die Investments in Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel stehen, kündigte der ehemalige Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, am Mittwoch in Glasgow an. Das entspricht etwa 40 Prozent des weltweiten Anlagevermögens.‚
‚Der britische Finanzminister Rishi Sunak kündigte in Glasgow an, London zum weltweit ersten auf Klimaneutralität ausgerichteten Finanzplatz zu machen. Alle dort tätigen Finanzinstitutionen und alle an der Londoner Börse notierten Unternehmen müssten bis spätestens 2023 Pläne für den Übergang zum klimaneutralen Zeitalter ausarbeiten, sagte Sunak.‚
‚Kritischer fällt die Einschätzung der internationalen Organisation Global Witness aus. „Wir haben wieder und wieder erlebt, dass Selbstverpflichtungen von Banken nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben sind“, erklärte Veronica Oakeshott. „Und bisher haben wir keinen Grund, zu glauben, dass es diesmal anders ist.“ Wenn die Ankündigung des Finanzministers mehr sein solle als Greenwashing, müsste sie mit klaren gesetzlichen Vorgaben durchgesetzt werden.‚
Positiver Kommentar von Malte Kreutzfeldt in der taz zu den Beschlüssen in der Finanzbranche und zum COP-Prozess: Klimagipfel in Glasgow: Wo Greta Thunberg irrt – taz.de.
Chronik, 4. November: Energie
Offizielles Thema: Energy Transition
Hier war die Präsidentschaft besonders bemüht, den Eindruck eines Erfolgs, vor allem des tatsächlichen Endes der Kohleförderung und -Verbrennung, zu erwecken. Offizielle Sprachregelung: End of coal in sight at COP26 – UN Climate Change Conference (COP26) at the SEC – Glasgow 2021
Verabschiedet wurde das Global Coal to Clean Power Transition Statement. Darin bekennen sich viele Staaten, darunter so notorische Verschmutzer-Staaten wie Polen, zum Ende der Kohle. Die Formulierungen sind so elastisch, dass sie nicht einmal den Charakter einer Selbstverpflichtung haben, z.B.: „Rascher Ausbau von Technologien und politischen Maßnahmen in diesem Jahrzehnt, um in den 2030er Jahren (oder so bald wie möglich danach) in den großen Volkswirtschaften und in den 2040er Jahren (oder so bald wie möglich danach) weltweit einen Übergang weg von der ungebremsten Kohleverstromung zu erreichen, der mit unseren Klimazielen und dem Pariser Abkommen im Einklang steht, in Anerkennung der Führungsrolle der Länder, die ehrgeizige Verpflichtungen eingegangen sind, unter anderem im Rahmen der Powering Past Coal Alliance;…„
Original: To rapidly scale up technologies and policies in this decade to achieve a transition away from unabated coal power generation in the 2030s (or as soon as possible thereafter) for major economies and in the 2040s (or as soon as possible thereafter) globally, consistent with our climate targets and the Paris Agreement, recognising the leadership shown by countries making ambitious commitments, including through the Powering Past Coal Alliance;… (Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator, kostenlose Version)
Am 4.11. erschien der Adaptation Gap Report 2021 des UN-Umweltprogramms, der sich mit der Anpassung an die globale Erhitzung und dem Finanzbedarf dafür beschäftigt. Die Leistungen der reichen Länder bleiben weit hinter dem Notwendigen zurück. Der Guardian stellt dazu fest: „Die Entwicklungsländer sind besonders gefährdet, aber sie sind nicht in der Lage, die erforderlichen Mittel aufzubringen, um Menschen und Ressourcen vor Überschwemmungen, Dürren und dem Anstieg des Meeresspiegels zu schützen. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts werden sie wahrscheinlich zwischen 140 und 300 Mrd. USD pro Jahr benötigen, um die Auswirkungen zu bewältigen. 2019 haben sie jedoch nur 80 Mrd. USD an Klimafinanzierung erhalten, darunter auch Mittel zur Senkung der Treibhausgasemissionen.“ Quelle: Countries have failed to adapt for unavoidable climate damage, UN says | Cop26 | The Guardian
Chronik, 5. November: Die ersten großen Proteste
Offizielles Thema: Youth and Public Empowerment
Der 5. November war der erste Tag mit großen Protesten. Da die Teilnehmer:innen aus Frontline Communities nach wie vor in der internationalen Öffentlichkeit oft unbeachtet bleiben, zuerst ein Tweet dazu:
In Glasgow selbst gingen Massen auf die Straße:
Rede von Greta in Glasgow:
Es besteht Unklarheit darüber, ob Österreich die Erklärung der High Ambition Coalition COP 26 unterschreibt – das sind Staaten, deren führende Politiker zur Einhaltung der Paris-Ziele und zur Halbierung der Emissionen bis 2030 aufrufen (auch wenn ihre Politik damit nicht in Einklang stehen muss). Schließlich unterschreibt Leonore Gewessler.
Die von Oxfam herausgegene Studie Carbon inequality in 2030: Per capita consumption emissions and the 1.5⁰C goal des Instituts für Europäische Umweltpolitik (IEEP) und des Stockholmer Umweltinstituts (SEI) beschäftigt sich mit den Reichen als Verursachern der Klimakrise. Sie kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass das reichste Prozent der Weltbevölkerung seine Emissionen um 97% reduzieren muss, um sie in Einklang mit den Pariser Zielen zu bringen. (Guardian-Bericht: ‘Luxury carbon consumption’ of top 1% threatens 1.5C global heating limit | Greenhouse gas emissions | The Guardian)
Care weist darauf hin, dass der bisherige Verlauf der Konferenz weitgehend enttäuschend war. Als besonders negativ wird hervorgehoben, dass das Ziel, den ärmeren Ländern jährlich 100 Milliarden zur Bekämpfung der Klimakrise zur Verfügung zu stellen, auch in der absehbaren Zukunft nicht umgesetzt wird (Halbzeit bei der COP26: Industrienationen mahnen, tun aber zu wenig).
Quelle zum 5. November. Österreich geht bei Klimaschutz-Erklärung nicht mit – wegen fehlenden Atomkraft-Ausschlusses – Umwelt, Landwirtschaft & Klima – derStandard.at › Wirtschaft.
Chronik, 6. November: Proteste
Offizielles Thema: Natur und Landnutzung
45 Staaten verpflichten sich, die Agrarnutzung umzubauen (Nations and businesses commit to create sustainable agriculture and land use).
Der deutschen Entwicklungsminister Müller von der CSU und Luisa Neubauer kritisieren die bisherige Entwicklung der Konferenz: Reaktionen auf Klimagipfel: Scharfe Kritik an bisherigen Beschlüssen | tagesschau.de
Glasgow sieht die bisher größte Demonstration:
Stay Grounded führt eine internationale Aktion gegen das Greenwashing in der Luftfahrtbranche durch, zu denen unser Gast Mira Kopfinger mehr berichtet: COP26: Protest actions around the globe target aviation “greenwashing” and call for a reduction of air traffic | Stay Grounded
Links und Literaturverweise aus der Diskussion
Studie zum sozial gerechten Erreichen des 1,5°-Ziels (Hinweis von Mira Kapfinger):
CSO Equity Review. „A Fair Shares Phase Out: A Civil Society Equity Review on an Equitable Global Phase Out of Fossil Fuels“. Manila, London, Cape Town, Washington, et al: CSO Equity Review Coalition, 2021. http://civilsocietyreview.org/report2021/.
Presseaussendung dazu:
„New Report Urges Equitable Phase out of Fossil Fuels to Keep Alive 1.5°C |“. Zugegriffen 9. November 2021. http://civilsocietyreview.org/2021/11/03/press-release-2021-report/.
Studie zum Scheitern vergleichbarer Gipfeltreffen (Hinweis von Giuseppe Delmestri):
Schüssler, Elke, Charles-Clemens Rüling, und Bettina B. F. Wittneben. „On Melting Summits: The Limitations of Field-Configuring Events as Catalysts of Change in Transnational Climate Policy“. Academy of Management Journal 57, Nr. 1 (Februar 2014): 140–71. https://doi.org/10.5465/amj.2011.0812. (Download)