Vor 20 Jahren wurde die europäische Grenzsicherungsbehörde Frontex gegründet. Zuerst eher unbedeutend, wurde sie nach der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 massiv ausgebaut. Frontex ist heute die größte Behörde der europäischen Union und wird zu einer bewaffneten Grenzpolizei aufgerüstet.
Offiziell hat Frontex einen doppelten Auftrag: Die EU-Mitgliedstaaten beim Kampf gegen illegale Migration zu stützen und für Rechtsstaatlichkeit im Umgang mit Migrantinnen und Migranten zu sorgen. Tatsächlich unterstützt Frontex die EU-Staaten und auch Nachbarländer dabei, Geflüchtete nicht in die EU zu lassen oder zu deportieren. Damit setzt es die gemeinsame abschottende Migrationspolitik der EU durch – die Grenzstaaten der EU haben dazu allein nicht die nötigen Mittel.
Unklare Verantwortung
Frontex ist eine typische EU-Institution mit unklaren Verantwortlichkeiten. Offiziell unterstützt Frontex nur die EU-Staaten: Die rechtliche Verantwortung für Aktionen gegen Migrantinnen und Migranten liegt vor allem bei den Staaten. Von dieser Rechtslage geschützt, hat sich Frontex immer wieder an illegalen Pushbacks an den EU-Grenzen aktiv beteiligt oder sie gedeckt. (Über einen der vielen Fälle hat im September 2024 die deutsche Tagesschau berichtet. Vor dem europäischen Gerichtshof findet gerade ein exemplarisches Verfahren statt. Die aktuellen Angaben der Behörde, die inzwischen u.a. in Bosnien-Herzegowina aktiv ist, sollten mit großer Skepsis gelesen werden.)
2023 sank das Flüchtlingsboot Adriana 50 km von der griechischen Grenze entfernt, wahrscheinlich nachdem es ein griechisches Küstenwachenschiff zum Kentern gebracht hatte. Frontex-Angehörige überflogen die Adriana, setzten aber keinen Notruf ab, so dass kein Schiff zur Hilfe kam. Angeblich habe man keine akute Gefahr festgestellt, für das Geschehen am Schiff sei man nicht verantwortlich. Dieses Abstreiten von Verantwortung ist charakteristisch für eine Vielzahl von Zwischenfällen mit Frontex-Beteiligung: Die Verantwortung für Rechtsbrüche wurde den Nationalstaaten, etwa Griechenland oder Kroatien zugeschoben.
Frontex diente und dient aber auch dazu, Menschenrechtsverletzungen beim Umgang mit Flüchtlingen nicht als Teil der offiziellen EU-Politik erscheinen zu lassen, sondern sie einer intransparenten und eigenmächtig handelnden Behörde zuzuschreiben. Der frühere Frontex-Chef Leggeri konnte sich über Jahre ein eigenes Machtzentrum aufbauen. Sein persönlichen Büro in Warschau hatte mehr als doppelt so viele Mitarbeiter:innen wie das der Kommissionspräsidentin Von der Leyen. Beim Anwerben der – meist männlichen – Frontex-Mitarbeitenden wurde bewusst nicht darauf geachtet, eine Unterwanderung durch Rechtsradikale auszuschließen. Als Leggeri nach einer Untersuchung über seine Amtsführung gehen musste, wurden diese Strukturen nicht eingreifend reformiert.
Der Frontex-Apparat wird von der EU dazu genutzt, so wenig Geflüchtete wie möglich nach Europa gelangen zu lassen, aber auch dafür, die brutalen Methoden, die dabei angewendet werden, als bedauerliche Zwischenfälle in einer eigenmächtig und leider intransparent agierenden Einrichtung erscheinen zu lassen. Damit EU-Kommission und EU-Rat moralisch sauber erscheinen, muss Frontex intransparent agieren. In dem durch diese Intransparenz geschützten Behörden-Biotop kann sich ein Repressionsapparat mit eigener Agenda entfalten. (Leggeris Agenda blieb nicht unbekannt. Nach seinem Herauswurf bei Frontex gelangte er auf Platz 3 der Liste der Le Pen-Partei Rassemblement National ins europäische Parlament.)
Über 40.000 tote Flüchtlinge
Seit 1994 sind über 40.000 Geflohene im Mittelmeer umgekommen, obwohl dieses Meer zu den am besten überwachten der Welt gehört. Die Militarisierung der EU-Grenzen und Verträge mit den korrupten Regimen der Nachbarstaaten haben die EU-Außengrenzen nicht sicherer, sondern tödlicher gemacht. Enorme Beträge wurden nicht investiert, um Menschen zu retten, sondern um die Migration lebensgefährlicher zu machen und die Täterschaft bei brutalen Menschenrechtsverletzungen anderen, etwa Tunesien, Libyen und der Türkei zuzuschieben.
Frontex als Baustein der „Festung Europa“
Der Aufstieg von Frontex zur größten Behörde der EU ist ein Teil des Umbaus der europäische Union zur „Festung Europa“. Dieser Umbau ist nicht abgeschlossen, er kann noch scheitern. Aber er wird von den Rechtsradikalen vorangetrieben, nach den EU-Wahlen mit noch größerer Energie und größeren Erfolgsaussichten. Immer deutlicher werden sie dabei von konservativen und christdemokratischen Parteien unterstützt.
Die 20 Jahre seit der Gründung von Frontex waren 20 Jahre der nationalistischen Verhärtung – bis hin zum offenen Faschismus. Kurz nach 2004 war diese Verhärtung noch schleichend, nach der Bankenkrise wurde sie deutlicher und seit dem Brexit und der sogenannten Flüchtlingskrise für jeden erkennbar. Frontex wurde nicht stärker, weil der sogenannte „Migrationsdruck“ immer größer wurde, sondern weil der Nationalismus wuchs und hoffähiger wurde. Hinter diesem Nationalismus stecken sehr unterschiedliche ökonomische Motive – Schutzbedürfnis bei den Globalisierungsverlierern, Verhindern von Regulierungen bei der Ausbeutung von Öl- und Gasvorkommen in Großbritannien und den USA und auch – bei Teilen der sogenannten Eliten in Ländern wie Österreich – der Wunsch, sich nach ungarischem Vorbild als nationale Oligarchie zu etablieren.
Frontex ist eine Pilotinstitution dieser nationalistisch-autoritären Wende in Europa, die ihrerseits eine Reaktion auf einen nicht gebremsten Kapitalismus ist. Frontex zeigte, dass man Recht ignorieren kann, bevor diese Ignoranz zum politischen Programm auch großer Parteien und dann zur offiziellen EU-Politik wurde. Nichts ist diesem Nationalismus so fern wie eine internationale Steuerung der Wirtschaft, um globale commons wie die Atmosphäre zu schützen. Der Kampf gegen die Klimapolitik eignet sich dabei ideal als ideologisches Versatzstück.
In der Klimagerechtigkeitsbewegung müssen wir aus ethischen Gründen gegen eine Institution wie Frontex kämpfen. Frontex ist aber mehr als eine unethisch agierende Behörde. Frontex ist eine Speerspitze des faschistoiden Nationalismus. Wenn wir den Ausbau der „Festung Europa“ nicht verhindern, werden wir als Klimagerechtigkeitsbewegung in Bedeutungslosigkeit und Illegalität verschwinden.